Sprachstudien

Ein Mann, an Sprachen interessiert,
- Französisch hat er schon studiert – h
at sich, da er ein Mann von Welt,
auch Englisch fleißig angequält.
Der Mann hört in der Straßenbahn,
wie sich die Leute nebenan
in einer Sprache unterhalten,
die er zunächst für fremd gehalten.
Jedoch mit scharf gespitztem Ohr
kommt sie ihm gar nicht spanisch vor,
und plötzlich weiß er: Das ist Platt,
wie man es hier gesprochen hat.
Der Mann, an Sprachen interessiert,
erneuten Wissensdrang verspürt.
Das Plattdeutsch wird, wie er erfährt,
hier an der VHS gelehrt.
Da geht er kurz entschlossen hin.
Sein angeborener Sprachensinn,
die Lust, sein Wissen zu bereichern, Vokabeln
fleißig einzuspeichern
befähigt ihn schon alsbald,
"dat hä hät richtig Platt gekallt.”
Er nimmt sich vor, nun unverdrossen  
zu "prooten" mit den Zeitgenossen.
Doch die sind, wie man eingesteht,
hier in der Stadt recht dünn gesät.

Es kommt dann die Gelegenheit,
die ihn erst ärgert, dann erfreut:
Der Mann fährt wieder Straßenbahn.
Da spricht ihn wer auf Plattdeutsch an.
Der möchte dies und jenes wissen.
Die Antwort hätt’ in Platt sein müssen.
Doch unser Mann fühlt sich geniert.
Als er dann noch den Mut verliert,
gibt er auf Hochdeutsch kurz Bescheid.
Er murmelt was wie "Keine Zeit!“
Und bei der nächsten Station
macht er klammheimlich sich davon.
Er könnte in den Arm sich beißen,
dazu aus Wut sein Hemd zerreißen.
Er flucht dem inneren Schweinehund,
der ihm gesperrt den Mundart-Mund.
Da fällt ihm ein, daß vor der Stadt
er einen Onkel wohnen hat,
und dieser Onkel, weiß er auch,
der lebt und spricht nach altem Brauch.
Nach der Devise "Nix wie hin!"
sieht man ihn bald zum Dorfe ziehn.

Der Onkel freut sich und die Tante,
daß nun auch städtische Verwandte
gedenken alter Tradition
und nicht mehr mit verstecktem Hohn
hochnäsig ihre Nase rümpfen
und Platt als platt und doof beschimpfen,
Doch nun wird, völlig ungeniert,
wie selbstverständlich Platt parliert.
Ein Fisternölleken zuvor
löst rasch die Zunge, schärft das Ohr.
Man prostet, man vertellt, lacht laut.
Die Hemmungen sind abgebaut.
Der Mann packt seinen Sprachschatz aus
und fühlt alsbald sich wie zu Haus.
Die Alten sagen höchst gewichtig:
"Nä, wej sind platt! Jong, do bös richtig!“
Er ist, worauf er stolz sein kann,
bei ihnen ein Viersprachenmann.
Er geht nach Hause, ganz beschwingt,
wobei ein Lied er denen singt,
die mit ihm sind verwandt und auch
Platt sprechen für den Hausgebrauch.

P.S. Damit der Sprachschatz nicht erschlafft, hat er ein Jahrbuch sich beschafft.

 

Prosa, Gedichte und Zeichnungen von: Gerd Gailing