Hochwasser (Friemersheim 1985)

Der Fluß verläßt sein altgewohntes Reich
Er, der sich sonst behäbig talwärts wälzt
kommt nun in Eile übers Feld gestelzt
und hat sein neues Ufer hart am Deich.

Versunken ist der Kilometerstein.
Auf gleicher Höhe mit dem Sommerdieck
quält sich stromauf ein Schubschiff Stück um Stück.
Es sieht so aus, als käm’ es querfeldein.

Der Gehweg ist seit gestern überspült
und von den Weiden  die da unten stehn,
sind heute nur die Köpfe noch zu sehn.
Die Wiesen sind bis an den Rand gefüllt.

Die Hasen und Fasane ziehen aus.
Die Heckenvögel bangen um ihr Nest.
Laut schimpfend streicht die Elster ins Geäst.
Zwei Schwäne fühlen sich schon wie zu Haus.

Der Kahn, der lange in der Scheune blieb.
ist wiederum Beweis für gutes Holz,
denn er blieb dicht. Das junge Volk macht stolz
mit ihm am Werthschen Hof den Fährbetrieb.

Viel Menschen schauen zu, dammauf, dammab,
denn hohes Wasser und zu dieser Zeit,
da schon der Frühling zeigt sein buntes Kleid,
ist etwas, das es lange nicht mehr gab.

Am Kirchplatz oben steht ein alter Mann.
Er meint, daß seinerzeit in manchem Jahr
das Wasser doch erheblich höher war.
Dann geht er und steckt seine Pfeife an.
 
 
 
 

 

Prosa, Gedichte und Zeichnungen von: Gerd Gailing